Der Regierungssprecher Steffen Hebestreit über »Thirteen Days. A Memoir of the Cuban Missile Crisis« von Robert F. Kennedy:
»Das Buch und damit die Krise vom Oktober 1962 zeigen geradezu exemplarisch, dass es in Weltkrisen klug ist, sich weder von den eigenen Emotionen hinwegspülen zu lassen noch in vermeintliche Starker-Mann-Gesten zu verfallen.«
Es ist ein seltener Blick hinter die Kulissen, den uns der kleine Bruder des großen John F. Kennedy gewährt in diesem schmalen Band, der seine Erinnerungen an den Oktober 1962 festgehalten hat. 13 Tage waren es, in denen sich die Welt vielleicht so nah wie nie zuvor (und bis heute wohl nicht wieder) am Rande eines Dritten Weltkriegs befand. US-Aufklärungsflugzeuge hatten erkannt, dass die Sowjetunion begonnen hatte, heimlich Raketenabschussrampen auf Kuba zu installieren. Für Atomraketen, mit denen sich innerhalb kürzester Zeit das US-Festland erreichen ließe, was das vermeintliche Gleichgewicht des Schreckens zwischen den beiden Supermächten empfindlich gestört hätte, weil unter Umständen keine Zeit für einen Zweitschlag geblieben wäre.
US-Präsident Kennedy machte diese Entdeckung öffentlich, verlangte ultimativ den Abbau der Abschussrampen und den Abzug der Raketen, unternahm intensive diplomatische Geheim-Initiativen und verhängte eine militärische Seeblockade gegen Kuba, um die Sowjetunion zum Einlenken zu bewegen. Die Welt hielt den Atem an in jenen Tagen im Oktober 1962 – bis Nikita Chruschtschow schließlich nach 13 Tagen klein beigab.
Robert Kennedy gewährt Einblicke in die Debatten innerhalb der US-Administration. Er erwähnt die vielen, oft widersprüchlichen Ratschläge, die sein Bruder – der Präsident – vom Beraterstab in diesen Tagen erhielt. Und Robert Kennedy vergisst dabei nie, die ungeheure Weitsicht des (später ermordeten) Bruders ins rechte Licht zu rücken.
Als er das Manuskript begann, im Sommer 1967, bereitete er gerade seine eigene Kandidatur für das Präsidentenamt vor. Eine Kandidatur, die im Juni 1968 durch einen Attentäter ihr jähes Ende fand. Das Werk wurde nie vollendet, später als Fragment und mit einem Vor- und Nachwort versehen veröffentlicht. In den 1990er-Jahren wurde es mit einem – grandios fehlbesetzten – Kevin Costner in der Hauptrolle verfilmt. Im Herbst vergangenen Jahres überreichten zwei Gäste dem Bundeskanzler sicherlich nicht zufällig dieses Buch; er empfahl mir kurz darauf, mir die zwei Stunden Zeit zu nehmen, die es braucht, den nur knapp 100 Seiten langen Text zu lesen.
Es war eine faszinierende Lektüre für mich, weil ich jene Situationen kenne, in denen teils weitreichende Entscheidungen in Echtzeit zu treffen sind, ohne dass man über all die Informationen verfügt, die man für solche Entscheidungen gerne hätte. Situationen, in denen die unterschiedlichsten Positionen im engsten Kreis miteinander diskutiert, erörtert, verworfen oder dann doch wieder erwogen werden. Und wo es am Ende eben darauf ankommt, dass ein Regierungschef trotz unbefriedigender Informationslage, trotz widersprüchlicher Ratschläge und ungeachtet allen öffentlichen Drucks so entscheidet, wie er es selbst für richtig und verantwortbar hält. All das arbeitet Robert Kennedy so anschaulich, klar und eindringlich heraus, dass es nicht schwerfällt, über die hagiografischen Passagen zu seinem Bruder großzügig hinwegzulesen.
Das Buch und damit die Krise vom Oktober 1962 zeigen geradezu exemplarisch, dass es in Weltkrisen klug ist, sich weder von den eigenen Emotionen hinwegspülen zu lassen noch in vermeintliche Starker-Mann-Gesten zu verfallen. Vielmehr gilt es stets zu bedenken, wie die Gegenseite agieren, reagieren und denken könnte. »Thirteen Days« sind in dieser Hinsicht aktueller denn je.
Steffen Hebestreit, Jahrgang 1972, hat Politikwissenschaft und Amerikanistik studiert und viele Jahre lang als Redakteur und Korrespondent der »Frankfurter Rundschau« gearbeitet. Von 2015 an leitete er die Vertretung der Hansestadt Hamburg beim Bund in Berlin und wechselte 2018 als Sprecher in das Bundesministerium der Finanzen. Wenn Steffen Hebestreit, mittlerweile Regierungssprecher und Chef des Bundespresseamtes, neben seinem Chef steht, erkennt der Fernshzuschauer, dass Olaf Scholz nicht zu den großgewachsenen Männern zählt. Das ändert nichts an dem offensichtlich guten Verhältnis der beiden. Unter seinen ehemaligen Kollegen genießt der Frankfurter den Ruf, nervenstark und zuverlässig zu sein.