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Der Journalist und Dokumentarfilmer Stephan Lamby über die Chronik »Februar 33. Der Winter der Literatur« von dem Autor und Literaturkritiker Uwe Wittstock:

»Wie gefährlich Literatur und Journalismus für autoritäre Regime sein können – das ist der tiefere Kern des Buches und was es über den historischen Nationalsozialismus in Deutschland hinaus auf ewig aktuell macht.«

 

Kurz vor Weihnachten habe ich es in einem Rutsch durchgelesen: Uwe Wittstocks »Februar 33. Der Winter der Literatur«.  Dann hat es mir meine Mutter, Jahrgang 1934, aus der Hand gerissen – dass Mutter und Sohn das gleiche Buch interessiert, ist eher ungewöhnlich im Hause Lamby. Sie hat aufgrund ihrer Biografie einen ganz anderen Zugang zu diesem Thema.

Zum Inhalt: Bislang war ich davon ausgegangen, ein großer Teil der deutschen Intellektuellen habe – sofern sie nicht einverstanden waren mit dem NS-Regime – im Lauf einiger Monate nach der Machtübernahme das Land verlassen. Jetzt erfuhr ich, das habe sich innerhalb von Wochen oder sogar Tagen abgespielt. Diese Dramatik nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 war mir neu: Die Betreffenden konnten nicht einmal groß miteinander kommunizieren, wie heute, da das vermutlich per E-Mail oder Handy geschehen würde. Damals musste erst einmal umständlich telefoniert oder ein Brief geschrieben werden. Die schnelle Reaktion zeigt, dass den meisten Intellektuellen die Lage sofort und erschreckend deutlich war, ohne jegliche Illusion oder Hoffnung. Aber nicht alle haben ja das Land sofort verlassen.

Wie gefährlich Literatur und Journalismus für autoritäre Regime sein können – das ist der tiefere Kern des Buches und was es über den historischen Nationalsozialismus in Deutschland hinaus auf ewig aktuell macht. Das kann man in Russland und Weißrussland genauso lesen wie in der Türkei, in China oder Saudi-Arabien. Man sieht, wie die Medienaufsicht in Moskau von Journalistinnen und Journalisten verlangt, in ihren Veröffentlichungen auf Begriffe wie »Invasion«, »Angriff«, »Kriegserklärung« etc. zu verzichten. Man sieht, wie Peking regimekritische Sätze in sozialen Medien zensiert. Man sieht, dass ein kritischer Blogger in Saudi-Arabien öffentlich ausgepeitscht und zehn Jahre lang inhaftiert wurde. Und immer stellt sich Autorinnen und Autoren die Frage: Bleiben oder fliehen? Die Geschichte dieses Frühjahrs 33 ist eine Blaupause für die Beziehung zwischen autoritären Herrschern und den sie beobachtenden Intellektuellen.

Ich muss jedoch hinzufügen, dass ich »Februar 33« zunächst mit angezogener Handbremse gelesen habe. Ich bin von Hauptberuf Dokumentarfilmer und habe auch zahlreiche zeitgeschichtliche Filme produziert. Als Filmemacher bemühe ich mich um größte Exaktheit auch bei historischen Stoffen. Das Fernsehen hat das Problem, dass es Bilder braucht. In dieser Not ist meine Branche vor vielen Jahren auf die Idee gekommen, historische Momente nachzustellen. Mit Darstellern, denen man oft Dialoge oder Monologe in den Mund legt. Wir nennen es Reenactment. Längst fremdele ich mit dem Genre. Was Uwe Wittstock macht, habe ich sehr früh als Reenactment empfunden und hatte daher ein gewisses Unbehagen. Woher will Uwe Wittstock das alles so genau wissen, was er da schreibt? Weil mich seine Erzählung in ihren Bann gezogen hat, habe ich die ersten Seiten noch einmal gelesen, in der Hoffnung, dass Wittstock seine wichtigsten Quellen benennt, zumindest sein literarisches Prinzip erläutert, gewissermaßen als Warnhinweis. Einen solchen Hinweis habe ich aber nicht gefunden. Schließlich habe ich mir gesagt: Lies das Buch mit offenem Herzen weiter! Und ja, es lohnte sich, die Zweifel beiseitezuschieben.

Ich komme noch einmal zurück zu meiner Mutter. Ich habe Neuere deutsche Literaturwissenschaft studiert, mache Filme, schreibe selbst Bücher und habe einen gewissen geistigen Werkzeugkasten für die Lektüre. Meine Mutter würde sich die Fragen nach den Quellen und der Lauterkeit der Erzähltechnik vermutlich nicht stellen. Ich hätte mir also gewünscht, dass Uwe Wittstock im Prolog ein paar reflektierende Worte verloren hätte, um allen Lesern die Möglichkeit zu geben, sein Buch mit einer gewissen Distanz zu lesen. Das würde an der Kraft der Erzählung nichts ändern.

Ansonsten lese ich viele politische Sachbücher, oft zu amerikanischer und deutscher Geschichte, beispielsweise von US-Autoren wie Bob Woodward. Mich begeistert, mit welchem ungeheuren Aufwand und wie exakt sie jüngere Zeitgeschichte rekonstruieren.

Stephan Lamby studierte Germanistik und Anglistik und fand über die Musik zum Journalismus: Er schrieb für Zeitungen, arbeitete für den Hörfunk und in den Neunzigerjahren als stellvertretender Redaktionsleiter und Moderator für das Fernsehmagazin der ZEIT. Er hat mit seiner Produktionsfirma ECO Media vor allem für die ARD zahlreiche Porträts von Politikern wie Helmut Kohl, Angela Merkel, Henry Kissinger oder Fidel Castro sowie politische Langzeit-Dokumentationen produziert. In Erinnerung bleiben etwa »Nervöse Republik« oder auch »Wege zur Macht«. Ausgezeichnet wurde Stephan Lamby u. a. mit dem Deutschen Fernsehpreis, dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis oder als »Journalist des Jahres 2018«. In seinem neuesten Buch »Entscheidungstage. Hinter den Kulissen des Machtwechsels« schildert er den Bundestagswahlkampf und den Machtwechsel 2021. Seine Leidenschaft für Jazz zeigt sich in seinem Film »Brüder Kühn. Zwei Musiker spielen sich frei«. Als aktuelles Langzeitprojekt begleitet Stephan Lamby über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren hinweg einige Mitglieder der neuen Bundesregierung.

 

Februar 1933 – Der Winter der Literatur

von Uwe Wittstock (2021)

Der Literaturkritiker und Autor Uwe Wittstock, 1955 in Leipzig geboren, war von 1980 bis 1989 unter der Ägide von Marcel Reich-Ranicki Literaturredakteur der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. In der Chronik »Februar 33 – Der Winter der Literatur« erzählt er von dem rasanten Absturz der Demokratie im Februar 1933 – aus der wechselnden Sicht prominenter Autoren und Autorinnen. In dem Monat entschied sich auch für die Schriftsteller in Deutschland alles. Von Tag zu Tag verfolgt Wittstock, wie das glanzvolle literarische Leben der Weimarer Zeit in wenigen Wochen einem langen Winter wich und sich das Netz für Thomas Mann und Bertolt Brecht, für Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin und viele andere immer fester zuzog. Auf der Grundlage von teils unveröffentlichtem Archivmaterial entsteht ein dichtes Bild dieser ungeheuren Zeit. Uwe Wittstock beschreibt Tage der Angst und Selbsttäuschung, der Passivität und Entschlossenheit unter den Schriftstellern. Wer arrangiert sich mit den neuen Machthabern, wer muss um sein Leben fürchten und fliehen?

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