© Ina Mortsiefer

Der ZEIT-Südamerika-Experte Thomas Fischermann über »Heilung aus dem Regenwald« von Mark J. Plotkin:

»Plotkins Buch setzte mir die Idee in den Kopf, immer wieder zu den Huhuteni zu reisen – um schließlich herauszufinden, welches uralte Wissen diese Leute bis heute lebendig halten.«

 

Ich habe in den vergangenen Monaten merkwürdige Bücher gelesen. Sie tragen Titel wie »Der Weg des Schamanen« oder »Der Schlüssel zur Unsterblichkeit«, und man erfährt darin von tödlichen Besäufnisritualen im frühen Christentum, von kontroversen Drogenversuchen in psychiatrischen Anstalten und von US-Amerikanern, die trommelnd um die Lagerfeuer in ihren heimischen Gärten laufen. Ich bin nicht verrückt geworden und auch nicht zu einer esoterischen Glaubensrichtung übergetreten. Ich wollte mich aber über die Theorie und Praxis des Schamanismus informieren. Für ein mehrjähriges Rechercheprojekt habe ich immer wieder ein kleines, rätselhaftes Amazonasvolk an der Grenze zwischen Brasilien und Kolumbien besucht, die Huhuteni vom Rio Ayari, die seit Jahrhunderten für wundersame Heilerfolge bekannt sind. Seither habe ich für die ZEIT einige Male über das Thema Amazonas-Schamanen geschrieben, und mich interessierte schon brennend, ob diese Leute irgendwelche Geheimnisse hüten, die westlichen Biologen, Pharmazeuten und Medizinern nicht bekannt sind.

Da kam für mich Mark J. Plotkin ins Spiel. Zwischen all der Literatur über Schamanen, die für meinen Geschmack oft arg farbenfroh und spekulativ daherkommt, schlägt dieser in Harvard ausgebildete Ethnobotaniker einen Ton an, mit dem ich etwas anfangen kann. In »Heilung aus dem Regenwald« hat Plotkin mich mit einem schlagenden Argument überzeugt: Naturräume wie der Amazonaswald, die über eine riesige und kaum erforschte Artenvielfalt verfügen, könnten uns eigentlich noch jahr­zehntelang Durchbrüche in der Pharma­forschung liefern. Im Fall des Amazonas ist das immer wieder passiert. ACE-Hemmer, einige Schmerzmittel, Blutgerinnungsmittel und Krebstherapien gehen auf Stoffe und Wirkungs­mechanismen zurück, die Wissenschaftler in der Amazonasnatur entdeckt haben.

Immer wieder berichten westliche Forscher dann, dass indigene Völker ihnen schon zuvorgekommen sind. Die machen längst Heilmittel aus irgend­welchen Pflanzen, Schlangenhäuten, Insekten oder Amazonas-Bodenmikroben, die der Rest der Welt noch entdecken muss. Plotkins Buch setzte mir die Idee in den Kopf, immer wieder zu den Huhuteni zu reisen – um schließlich herauszufinden, welches uralte Wissen diese Leute bis heute lebendig halten. Ich stellte aber leider auch fest, dass Plotkin noch in einem anderen, traurigen Punkt richtig liegt: dass es dieses Wissen wohl nicht mehr lange gibt. Längst rücken Goldgräber und Holzfäller am Amazonas vor. Sie vernichten den Regenwald so rasant, dass in zehn oder zwanzig Jahren vielleicht nichts mehr davon übrig bleibt. Mit der Natur verschwinden dann auch die Völker und ihr Wissen. Wie groß dieser Verlust ist, konnte ich nach der Lektüre von »Heilung aus dem Regenwald« erst so richtig ermessen.

Unser Kollege, der ZEIT-Redakteur und Südamerika-Experte Thomas Fischermann, reist nicht nur für die ZEIT, sondern auch für seine Buchprojekte in die entlegensten Regionen des amerikanischen Kontinents. Nach seinem Bestseller »Der letzte Herr des Waldes« über das Volk der Tenharim ist nun sein neues Buch »Der Sohn des Schamanen« über die geheimnisvollen Heiler und Krieger aus dem Amazonasregenwald erschienen. Das Besondere an Fischermanns Büchern: Er schreibt sie nicht allein, sondern mit einem indigenen Co-Autor. Im aktuellen Buch lesen Sie also auch direkt vom Schamanenlehrling Dzuliferi Huhuteni, wie er an der Grenze zwischen Kolumbien und Brasilien um das magische Erbe seiner Vorfahren kämpft.

 

Heilung aus dem Regenwald

Von Mark J. Plotkin (1997)

Mark J. Plotkin ist ein renommierter Ethnobotaniker, der in den letzten 30 Jahren mit älteren Schamanen in Mittel- und Südamerika die traditionelle Verwendung von Pflanzen studiert hat. Sein Buch »Heilung aus dem Regenwald« (engl. »Medicine Quest: In Search of Nature’s Healing Secrets«) ist ein spannender und informativer Bericht des Ethnobotanikers, der bereits seit langer Zeit die Heilkraft der Pflanzen und das Wissen der Amazonasbewohner erforscht – abenteuerlich, fundiert und engagiert.

Das Buch gibt es nur noch gebraucht zu kaufen, oder vielleicht finden Sie es auch in Ihrer örtlichen Bibliothek.

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