Der Sternekoch Vincent Klink über »Spaghetti al pomodoro« von Massimo Montanari:
»Die Tour d’Horizon durch den Spaghettikosmos liest sich lebendig, anregend und ohne wissenschaftliches Gehabe.«
Ein mir nahestehender alter Italiener sagte mir kürzlich: »Ein Tag ohne Pasta iste nixe guter Tag.« Was für ein weiser Mann. Obwohl ich weniger weise bin, geht es mir genauso. Von dieser Aussage ist es nicht weit zur italienischen Identitätsfindung, wie man bei Massimo Montanari in dem tomatenroten »Salto«-Buch des Wagenbach-Verlags, »Spaghetti al pomodoro«, nachlesen kann.
Spaghetti mit Tomatensauce, das beliebteste deutsche Gericht, ist fest hineinzementiert in die DNA des Italieners und mittlerweile auch des Deutschen. Geschickt versteht es der Autor, eine Genießerkundschaft, der das Wasser im Mund zusammenläuft, zu überlisten und sich ein paar politische Gedanken zu machen. Denn sein Buch bezeichnet er als eine politische Schrift, wenn nicht gar als Kampfschrift. Ja, er geht so weit zu beschreiben, auf welche Weise Essen auch als Waffe und Heimattümelei eingesetzt werden kann.
Montanari räumt mit vielen lieb gewordenen Legenden auf, leuchtet tief in die Historie des Hartweizenteigs und der Tomate. So kam beispielsweise die Nudel keinesfalls aus China, sondern aus dem weizenschwangeren arabischen Raum. Er weist darauf hin, dass in den Aufzeichnungen des Venezianers Marco Polo die Nudel aus Weizen nicht erwähnt wird.
Auch mit der Tradition des Gerichts ist es nicht weit her: Frühestens findet man es auf den Speisezetteln des 19. Jahrhunderts. Ziemlich zögerlich kam die Tomate dazu und noch später das aus Indien stammende Basilikum. Das Buch passt gut in die Zeit, beschäftigt sich mit Nachhaltigkeit ebenso wie mit der Psychologie des Essens. Montanari erklärt, welche Bedeutung der Käse hat und dass Olivenöl damals viel zu wertvoll war, um über Nudeln gegossen zu werden. Ausschließlich Butter und Schweineschmalz dienten zur Anfettung eines erträglichen Daseins.
Kurz: Mit wissenschaftlicher Gründlichkeit kreuzt Montanari durch sein Thema, und ganz besonders zeichnet ihn dies aus: Die Tour d’Horizon durch den Spaghettikosmos liest sich lebendig, anregend und ohne wissenschaftliches Gehabe.
Was ich sonst lese? Momentan arbeite ich an einem Buch über Essen und Kunst in Venedig und der Terraferma und habe massenhaft Literatur dazu zu durchpflügen. Manchmal nehme ich mir davon frei und vertiefe mich in ein ausführliches, spannendes Interview: Der renommierte Schweizer Kunstkritiker Pierre Courthion führte es 1941 mit Henri Matisse in Lyon. Nachdem es lange Zeit nicht veröffentlicht werden durfte, erschien es 2013 endlich auf Betreiben des Getty Research Institute in Los Angeles. 2019 wurde es dann von meinem Freund Tommy Bodmer für den Züricher Kampa-Verlag ins Deutsche übersetzt.
Vincent Klink, Jahrgang 1949, als Koch zu beschreiben wäre eine völlige Untertreibung. Sicher, er hat sich verschiedene Sterne erkocht, steht Tag für Tag in seinem Stuttgarter Restaurant »Wielandshöhe« am Herd und war in etlichen Fernsehküchen tätig. Im neuen ZEITmagazin WOCHENMARKT kocht er mit Elisabeth Raether den perfekten Knödel. Außerdem ist der Schwabe vielseitiger Jazz-Musiker – und er schreibt. Davon zeugt unter anderem auch sein beliebtes Tagebuch auf der Website des Restaurants. Viele Jahre lang hat er Magazine herausgebracht, die sich dem Thema Genuss und Küche auf intelligente Weise widmeten. So etwa, gemeinsam mit Wiglaf Droste »Häuptling Eigener Herd«. Gault&Millau hat Klink in diesem Jahr als Gastronomen des Jahres ausgezeichnet.