Der italienische Architekt Matteo Thun über die philosophische Schrift »Die Frage nach dem Ding« von Martin Heidegger:
»Es ist, zugegeben, ein harter Lese-Brocken, und trotzdem empfehle ich es jedem!«
Nicht kürzlich, sondern schon seit vielen Jahren begeistert mich das Buch »Die Frage nach dem Ding« von Martin Heidegger (1889–1976). Darin erörtert der bedeutende, wenn auch wegen seiner antisemitischen Äußerungen immer wieder umstrittene Philosoph die Fragen: Was ist ein Ding? Wer ist der Mensch? Seine Freiburger Vorlesung aus den Jahren 1935/36 unter dem Titel »Grundfragen der Metaphysik« gibt dazu konkrete Antworten. Er bezieht sich darin vor allem auf »Die Kritik der reinen Vernunft« von Immanuel Kant, geht aber weit darüber hinaus. Heidegger nimmt das Ende vom »Designismus« (also etwa die Fixierung auf die Form allein) schon in den Fünfzigerjahren vorweg, indem er in der Metapher vom Wasserkrug sehr vereinfacht feststellt, dass es eigentlich um das Wasser geht, nicht um den Krug. Er gibt als Philosoph keine Antwort, sondern stellt die Frage: Sprechen wir über den Behälter oder über den Inhalt? Mein großartiger Mailänder Maestro Ettore Sottsass, der durch sein Konzept des »Anti-Designs« so erfolgreich wurde, hat immer die radikale Frage gestellt: Brauchen wir überhaupt noch etwas?
Seit 1980, als wir gemeinsam die erste »Memphis«-Kollektion herausbrachten, beschäftigt mich der Sein-Charakter der Dinge. Um die »Dinghaftigkeit der Dinge« besser zu verstehen, habe ich mir das Buch von Martin Heidegger gekauft. Es ist sozusagen die Grundlage meiner eigenen Philosophie des Gestaltens. Das Buch begleitet mich seitdem. Es ist, zugegeben, ein harter Lese-Brocken, und trotzdem empfehle ich es jedem!
Was nach der Lektüre bleibt? Dass ich mir angewöhnt habe, die ständige Herausforderung des Fragens und Sehens anzunehmen – und auf diesem Weg den Seins-Charakter der Dinge zu verstehen. Im Übrigen empfehle ich unbedingt »Matisse und Picasso – eine Künstlerfreundschaft«, 1990 erschienen und geschrieben von Picassos Lebensgefährtin Françoise Gilot. Unterhaltsam und spannend, zumal Gilot die Kunst von Matisse derjenigen von Picasso vorzog. Ansonsten lese ich am Wochenende Die ZEIT und täglich die »FAZ«, und zwar auf Papier.
Der italienische Architekt und Designer Matteo Thun, Jahrgang 1952, hat in den späten Sechzigerjahren Lehrveranstaltungen von Oskar Kokoschka und Emilio Vedova besucht und in Florenz Architektur studiert. International bekannt wurde er, als er zusammen mit Ettore Sottsass das postmoderne Design-Projekt »Memphis« gründete. Diese Kooperation von Möbel-, Textil -und Keramikherstellern stellte spektakulär erstmals das strenge Dogma »Form follows function« infrage.
Heute ist Thun bekannt für eine Architektur der Nachhaltigkeit. Entworfen hat er nicht nur Hotels wie das mehrfach ausgezeichnete Vigilius Mountain Resort in Südtirol, sondern auch Blockheizkraftwerke, Espressotassen, Bürostühle und etliches mehr. Sein Mailänder Studio beschäftigt um die 50 Mitarbeiter.