ZEIT-Redakteurin Andrea Böhm über ihre Buchempfehlung »Löwen wecken« von Ayelet Gundar-Goshen:

»Mich hat schon lange kein Roman mehr so geschickt in die Köpfe der Protagonisten geschubst. Und immer habe ich mich gefragt: ›Was hättest Du jetzt gemacht?‹«

»Und er dachte sich gerade, dies sei der schönste Mond, den er je gesehen hatte, als er diesen Mann umfuhr.« So beginnt Ayelet Gundar-Goshens Roman »Löwen wecken«. Ich hatte das Buch im »Stadtlichter«, meinem Lieblingsbuchladen in Berlin, aufgeschlagen und nach diesem ersten Satz sofort gekauft.
Etan, ein israelischer Arzt, überfährt nachts einen eritreischen Migranten und begeht Fahrerflucht, weil er glaubt, es gebe keine Zeugen, und weil das Leben des Mannes ohnehin nicht mehr zu retten ist. Am nächsten Tag steht dessen Frau vor seiner Tür, und beginnt, Etan auf höchst ungewöhnliche Weise zu erpressen.
So verweben sich die scheinbar heile Welt der Etablierten und Wohlhabenden mit der von vogelfreien Flüchtlingen. Gundar-Goshen beschreibt das grandios, und sie macht dabei einen großen Bogen um alle Stereotype über Täter und Opfer. »Löwen wecken« erzählt von Menschen, die Grenzen überschreiten, um ihre Haut zu retten – und vielleicht auch ihre Seele.

Das Buch ist 2016 auf Deutsch erschienen. Damals war es aufgrund der Flüchtlingskrise hochaktuell. Das ist es geblieben. Es ist ein israelischer Gesellschaftsroman, aber die Handlung könnte genauso gut in Spanien, Deutschland oder den USA spielen. Mich hat schon lange kein Roman mehr so geschickt in die Köpfe der Protagonisten geschubst. Und immer habe ich mich gefragt: ›Was hättest du jetzt gemacht?‹ Ich hätte das Buch gern ‚langsamer‘ gelesen, aber dafür war »Löwen wecken« einfach zu spannend.

Was liegt jetzt auf dem Nachtisch oder im Rucksack? Bücher des ivorischen Schriftstellers Ahmadou Kourouma, allesamt Klassiker der afrikanischen Literatur.

Andrea Böhm ist Politik-Redakteurin der ZEIT. Davor war sie viele Jahre unsere Nahost-Korrespondentin. Als sie 2013 nach Beirut zog, zählte sie immer wieder die Länder ihres Berichtsgebiets durch. Es waren 18. In vielen herrschte Krieg, oder sie befanden sich in verschiedenen Stadien der Krise. Beim zahlreichen Abenden mit Leserinnen und Lesern erzählte Andrea Böhm vom geballten Wahnsinn unserer Zeit und wie wichtig Rockkonzerte für das Gleichgewicht einer Nahost-Korrespondentin sein können.

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