Die Publizistin und CDU-Politikerin Diana Kinnert über den Essay »Der flexible Mensch« von Richard Sennett:

 

»Durch Sennetts Buch lerne ich: Nicht Mehrgenerationenhäuser und Nachbarschafts-Genossenschaften helfen gegen Einsamkeit und Isolation, sondern ökonomische Sicherheit.«

 

Ich habe in den vergangenen Monaten immer wieder »Der flexible Mensch« von Richard Sennett gelesen. Es erschien erstmals 1998 unter dem Titel »The Corrosion of Character«. Der in Chicago geborene Sohn russischer Einwanderer und amerikanisch-britische Soziologe, der in London und New York lehrt, geht darin den kulturellen Konsequenzen eines neuen Kapitalismus nach. Das Gebot der unbedingten Flexibilität, das in der Wirtschaft heute herrscht, zwingt nicht nur seine Verlierer, sondern genauso seine Gewinner in einen Zustand permanenter Unsicherheit. Das stört und verletzt die menschliche Bindungswelt und den politischen Gemeinsinn.

Ich halte dieses Buch für sehr aktuell und sehr hilfreich. Vor einigen Jahren habe ich für die damalige britische Premierministerin Theresa May das weltweit erste Ministerium gegen Einsamkeit mitkonzipiert. Es sollte der gestiegenen Einsamkeit in der Gesellschaft, der Zersplitterung und der sozialen Segregation politisch Rechnung tragen. Durch Sennetts Buch lerne ich: Nicht Mehrgenerationenhäuser und Nachbarschafts-Genossenschaften helfen gegen Einsamkeit und Isolation, sondern ökonomische Sicherheit. Wer immerzu nach Disruption und Innovation schreit, darf sich nicht wundern, dass sich diese Oberflächlichkeit und Flüchtigkeit auch ins Zwischenmenschliche überträgt. Und das macht den Menschen krank. Einsame haben ein um 25 Prozent gesteigertes Risiko, vor dem Erreichen des Durchschnittsalters zu sterben.

Leuten, die sich nicht mit dem Kapitalismus anlegen wollen, würde ich dieses Buch nicht empfehlen. Ich bin Unternehmerin und Politikerin der CDU, ich bin ein großer Freund der sozialen Marktwirtschaft. Aber sie muss fair und sinnvoll konzipiert sein. Was wir heute erleben, ist ein auf Unbeständigkeit, Haftungslosigkeit und schnellen Exit ausgerichteter Neoliberalismus. Die christlich-sozialen Architekten der sozialen Marktwirtschaft würden sich im Grabe umdrehen.

Was ich sonst so lese? Ich bin Groupie der US-amerikanischen Popsängerin Halsey. Vielleicht finde ich sie auch nur gutaussehend. Im vergangenen November ist eine Gedichtsammlung von ihr erschienen, »I Would Leave Me If I Could«. Ich blättere das Werk gerade durch und finde die Texte leider nicht so gut. Dann also lieber wieder Gedichte von John Keats.

Diana Kinnert, Jahrgang 1991, ist als CDU-Politikerin in zahlreichen Parteigremien aktiv. Außerdem ist sie Gründerin und Geschäftsführerin einer Agentur für nachhaltige Stadtentwicklung. Bekannt wurde sie auch als Autorin des Buchs »Für die Zukunft seh’ ich schwarz. Plädoyer für einen modernen Konservatismus«. Jetzt ist ihr neues Buch erschienen: »Die neue Einsamkeit. Und wie wir sie als Gesellschaft überwinden können«.

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