Die Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange über den Roman »Hard Land« von Benedict Wells:
»Der Zauber des Buches liegt in Benedict Wells’ Begabung, eine so stimmige, vertraute, hingebungsvolle Welt durch seine Sprache zu erschaffen.«
Ich habe mich jetzt mal was getraut: einen Roman von Benedict Wells zu lesen. Nachdem ich von etlichen Leserinnen und Lesern gehört hatte, dass sie beim Lesen seiner Bücher entsetzlich weinen mussten, war ich vorsichtig geworden. Es ist ja nicht so, dass ich mich beim Schreiben meiner Romane nicht auch oft nah am Abgrund entlangbewege. Es fließen Tränen der Trauer, der Rührung, der Erleichterung und Dankbarkeit. Doch diese Gefühlszustände beim Schreiben bewusst zu durchleben – oder mich ihnen als Leserin mehr oder weniger auszuliefern – das macht für mich einen feinen Unterschied. Ich wollte mir also Zeit nehmen für einen Roman von Benedict Wells.
Vielleicht lag meine bisherige Zurückhaltung auch an meiner großen Tochter. Sie liebt all seine Bücher, darum wollte ich ihr neulich »Hard Land« schenken. Aber sie hat ängstlich abgewunken und gemeint: »Dafür bin ich gerade nicht bereit. Das wird wieder traurig enden.« Also fiel mein Blick ständig auf das Buch, das auf meinem Schreibtisch lag. Schließlich hat es zu mir gesagt: »Schlag mich endlich auf!« Der Titel gefällt mir sehr – »Hard Land« klingt wie »The Waste Land« – »Das wüste Land« von T. S. Eliot. Eines meiner absoluten Lieblingsbücher.
Benedict Wells Roman spielt Mitte der Achtzigerjahre. Sam, die Hauptfigur, ist fünfzehn Jahre alt. Er lebt mit seinen Eltern in einer sehr kleinen Stadt in Missouri, seine Mutter ist schwer krank, und Sam arbeitet in den Ferien im Kino seines Heimatortes. Er freundet sich mit ein paar Jugendlichen an, gemeinsam erleben sie einen unvergesslichen Sommer des Erwachsenwerdens. Sam verliebt sich – dann stirbt seine Mutter. Das ist in Kurzform der Inhalt. Doch der wahre Zauber des Buches liegt in Benedict Wells’ Begabung, eine so stimmige, vertraute, hingebungsvolle Welt durch seine Sprache zu erschaffen, dass ich beim Lesen voller Dankbarkeit war; ich bin mir selbst begegnet. Ich musste weinen und lächeln, manchmal auch im schnellen Wechsel – vor Glück, dass es solch ein wunderbares Buch gibt, das daran erinnert, wie fein der Mensch in seinen Empfindungen ist.
Ihren Debütroman »Relax« brachte Alexa Hennig von Lange 1997 raus. Mehr als 25 Titel hat sie mittlerweile veröffentlicht. Vorgestern erschien ihr neuer Roman »Zwischen den Sommern« – der zweite Band der Heimkehr-Trilogie. Darin erzählt Alexa Hennig von Lange, inspiriert von über 130 Tonbandkassetten ihrer Großmutter, die Familiengeschichte von Klara. Die Erzählung der über 90-jährigen fiktiven Protagonistin beginnt kurz vor dem Aufstieg der Nationalsozialisten und reicht bis in die Sechzigerjahre hinein. Hier in der Community gehört Alexa Hennig von Lange zu den beliebtesten Autorinnen, deshalb haben wir sie nun erneut nach einem Lesetipp für Sie gefragt. Ihre Buchempfehlung von vor einem Jahr finden Sie hier →