Die ZEIT-Redakteurin und Kinderbuch-Expertin Katrin Hörnlein über die »Rico und Oskar«-Reihe von Andreas Steinhöfel: 

»Ein bisschen beneide ich jeden, der bisher noch keine Bekanntschaft mit ihnen gemacht hat und alle Bände ganz neu entdecken kann.«

 

Mit seinem Kinderroman »Rico, Oskar und das Mistverständnis« hat Andreas Steinhöfel im vergangenen Jahr seine Reihe über die zwei ungleichen Freunde, den hochbegabten Oskar und den »tiefbegabten« Rico, abgeschlossen – und sozusagen selbst gekrönt. Dafür zeichnen wir ihn mit dem JahresLUCHS aus, dem Kinderbuchpreis von der ZEIT und Radio Bremen. Wir in der Jury finden, es war 2020 das beste Kinderbuch und der Autor hat sich noch einmal selbst übertroffen. Steinhöfel jongliert mit einem großen und wunderbar gezeichneten Figurenensemble, er webt eine zweite Erzählebene ein (Teile der Geschichte spielen im Berlin vor hundert Jahren und sind auch sprachlich dieser Zeit angepasst) und ganz nebenbei versteckt er noch Hinweise auf diverse Kinderbuchklassiker. Ich habe bei der Lektüre immer wieder laut gelacht und das Buch nach der letzten Seite voller Wehmut zugeschlagen. Denn: Mit diesem fünften Band muss man sich von den Jungs verabschieden. Steinhöfel will keine weiteren »Rico, Oskar«-Bände schreiben. Deshalb habe ich einfach wieder von vorne angefangen und mir noch einmal den ersten Band geschnappt. Denn so manches Kinderbuch kann man auch als Erwachsener mit Gewinn lesen! 2008 erschien »Rico, Oskar und die Tieferschatten«, und allein für die Wortschöpfung des »tiefbegabten« Kindes muss man Steinhöfel feiern. Und wer seinen Erzähler, jenen tiefbegabten Rico Doretti, nicht sofort liebgewinnt, der hat kein Herz: Rico kann zwar sehr viel denken, »aber das dauert meistens etwas länger als bei anderen Leuten«. Mit rechts und links kommt er auch nicht gut zurecht, weshalb er die meiste Zeit in seinem Haus in der Dieffenbachstraße 93 in Berlin-Kreuzberg bleibt. Damit er trotzdem etwas von der Welt sieht, klingelt er bei den Nachbarn, um deren Wohnungen anzusehen. Am liebsten ist er bei Frau Dahling, einer Fleischfachverkäuferin, die auf Rico aufpasst, wenn seine Mutter zur Arbeit in einen Nachtclub geht. Legendär auch die kleinen lexikalischen Einschübe, wenn der Junge sich selbst die Welt erklärt.
Rico mag langsamer denken als andere Kinder, dafür sieht er genau hin und bemerkt Dinge, die anderen verborgen bleiben: dass Frau Dahling oft von einem »grauen Gefühl« umgeben ist oder dass im Hinterhaus nachts seltsame Schatten hinter den Fenstern umherwandern. So ist es ausgerechnet der tiefbegabte Junge, der dem Kindesentführer »Mister 2000« auf die Schliche kommt und seinen neuen Freund, den hochbegabten Oskar befreit. Denn auch das versteht Steinhöfel wie kaum ein anderer: Geschichten für Kinder dürfen Tiefgang haben, sie müssen aber spannend und unterhaltsam sein.
Im vergangenen Jahr war der erste Band nach Angaben von media control das meistverkaufte Kinderbuch in Deutschland. Ich bin sicher, Rico und Oskar werden noch einige Generationen von Kindern begleiten – und ihre mitlesenden Eltern. Unsere durchgetaktete und schnelllebige Welt jedenfalls kann einen Entschleuniger wie Rico gut gebrauchen! Ein bisschen beneide ich jeden, der bisher noch keine Bekanntschaft mit ihnen gemacht hat und alle Bände ganz neu entdecken kann.

 

Die Redakteurin Katrin Hörnlein ist seit über 12 Jahren bei der ZEIT und ist bei uns die Expertin für Kinder- und Jugendliteratur. Sie ist Herausgeberin des ZEIT LEO-Magazins und redaktionell für die jungen Seiten bei uns im Blatt verantwortlich. Sie sitzt in der Jury des LUCHS-Preises für Kinder- und Jugendliteratur, den die ZEIT jeden Monat zusammen mit Radio Bremen vergibt.

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