Ederplan in Osttirol
Österreich + Wanderung + Berge + Osttirol
Seit zwei Jahrzehnten war Florian Gasser nicht mehr dort, und trotzdem gehört der Ederplan in Osttirol wohl zu seinen lebendigsten Erinnerungen:
Zum Kindsein in Tirol gehört es dazu, am Wochenende auf einen Berg geschleppt zu werden. Ich habe es gehasst. Anstrengend ist‘s, die Sonne brennt, und am Ende stochert man auf einer Hütte doof in Käsespätzle rum. Anders war das am Ederplan. Der Ederplan ist ein Berg in Osttirol, und dort steht auf 2000 Höhenmetern, knapp unterm Gipfel, das Anna-Schutzhaus. Der Maler Franz von Defregger hat die Hütte 1882 gebaut, und hundert Jahre später hat meine Mutter im Sommer dort gearbeitet. Sie hat gekocht und gekellnert und gemacht, was sonst noch anfiel. Ich war immer mit dabei, und ich lebte dort oben in völliger Freiheit.
In den Monaten am Ederplan konnte ich tun, was ich wollte. Ich lief am Berg herum, stapfte zum Gipfelkreuz und ließ mich wieder herunterrollen. Ich spielte mit den Kindern der Gäste, während ihre Eltern Fotos von mir machten, dem Bergbuben in seinen Lederhosen. Ich war Herrscher über mein eigenes kleines Reich. Zu Fuß auf die Hütte gegangen bin ich nie. Es war mir immer ein Rätsel, warum die Leute sich so quälen. Entweder fuhr ich auf dem Rücksitz eines Motorrads querfeldein auf den Berg, oder ich saß am Beifahrersitz eines alten Ladas, der sich gemächlich über die Forststraße kämpfte. Die einzige Anstrengung war, alle paar Hundert Meter ein Kuhgatter auf- und wieder zuzumachen.
Ich war sicher seit 25 Jahren nicht mehr am Ederplan. Immer wieder mache ich mit Verwandten aus, dass wir jetzt dann, aber jetzt wirklich, gemeinsam hinaufgehen. Natürlich kommt immer etwas dazwischen.
Manchmal schaue ich mir im Internet Fotos davon an, wie die Hütte heute aussieht. Und sofort fühle ich mich wieder zurückversetzt. Ich höre den Wind, wie er durch die Holzwände pfiff, während ich auf meiner Matratze lag und das Tuckern des Dieselaggregats, das die Batterie für die Lichter auflud. Ich rieche die Wiesen und Kuhfladen und den seltsamen Dunst, der am Morgen nach den Hüttenfesten in der Luft lag, wenn die Herren am Abend davor nicht warten konnten, bis ein Plumpsklo frei wird und … nun ja, Sie wissen schon.
Vor allem aber erinnere ich mich an die Freiheit, die ich gefühlt habe. Und die ich bis heute nur so auf diesem einen Berg erlebt habe.
Über Florian Gasser:
Florian Gasser hält als Leiter des Österreicher Büros in Wien die Stellung für DIE ZEIT. Gemeinsam mit seinen zwei Kollegen, dem Politikredakteur Lenz Jacobsen in Berlin und dem ZEIT-Korrespondenten Matthias Daum aus Zürich, spricht er wöchentlich im Politikpodcast »Servus. Grüezi. Hallo.« über die drei Alpenländer. Apropos Alpen: Wie die Habsburger dem frühen Tourismus dort auf die Sprünge halfen, hat Florian Gasser hier für Sie aufgeschrieben.
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